Eine Kuh schenkt Zuversicht
Russland ist ein Land der Extreme und das nicht nur in klimatischer Hinsicht. Bei uns kann es im Winter bis zu 50 Grad unter dem Gefrierpunkt haben und im Sommer bis zu 35 Grad plus. Es gibt Großstädte mit 10 Millionen Einwohnern und dann wieder hunderte Kilometer menschenleere Steppen. Armut und Reichtum prallen aufeinander.
Ein Land der Extreme
Ich arbeite als Pfarrer in Westsibirien in einem Gebiet so groß wie Süddeutschland. Ich besuche Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Je kleiner der Siedlungspunkt ist, umso schwieriger ist die Situation. Bei uns auf dem Land fahren die Menschen noch mit dem Pferdeschlitten herum, falls sie sich ein Pferd leisten können Dort sind die Wege sehr schlecht, nur bei gutem Wetter befahrbar. Die kleinen Dörfer haben keine Schule mehr, keinen Kindergarten. Die Kinder werden mit dem Schulbus in größere Orte gekarrt. Die Menschen dümpeln vor sich hin, die jüngeren ziehen, wenn sie es vermögen, für gewöhnlich weg und es bleiben die Älteren und Alkoholiker zurück.
Problematisch ist die medizinische Versorgung. Einer meiner Freunde, der in einem noch recht intakten Dorf wohnte, wurde niedergestochen und war am Verbluten. Der Krankenwagen kam erst nach 45 Minuten. Mein Freund überlebte zum Staunen aller. Es gibt fast keine Arbeit, da die Kolchosen sehr schlecht oder überhaupt nicht mehr arbeiten. Die Männer verdienen ihr Geld daher im Norden auf den Öl- und Gasfeldern, wobei sie dann natürlich für Wochen oder sogar Monate von zu Hause weg sind. Die zurückbleibende Familie lebt von der Rente der Großeltern und von der eigenen kleinen Landwirtschaft.
Eine Kuh als Lichtblick
Und doch ist nicht alles so schwarz, wie es sich anhört. In Russland wird die Familie sehr hoch geschätzt und die jungen Menschen wollen Familie und Kinder. Die Existenzgründung im ländlichen Raum erfordert aber viel Mühe, besonders durch die ökonomische Krise bedingt. Die Teuerungsrate ist sehr hoch, wohingegen die Löhne eher sinken. Für viele ist es daher ein gutes Startkapital, wenn sie eine eigene Kuh besitzen. Sie haben dann ihre eigene Milch, Quark und Rahm, womit sie die Kinder ernähren können. Die Ansprüche sind ja nicht so hoch. Erst gestern bat mich ein junger Mann um Hilfe. Er ist aus seinem Heimatdorf vor einigen Jahren in die Stadt umgezogen und hatte eine gute Arbeit dort.Der Arbeitgeber zahlte 2 Monate den Lohn nicht aus und so konnte die Miete nicht mehr beglichen werden. Er musste die Wohnung räumen und kehrte nach Hause zurück. Außer den 4 Wänden seines Holzhäuschens ist nicht mehr viel übriggeblieben. Als wir auf dem Schulflur miteinander sprachen, fiel ihm plötzlich, aus dem Klassenzimmer stürmend, seine jüngste Tochter um den Hals. In diesem Moment wurde mir sonnenklar, dass er Hilfe braucht. Für ihn ist eine eigene Kuh Gold wert.
Daher bedanke ich mich im Namen aller Familien für die großartige Hilfe, die wir erhalten haben. Herzliches "Vergelte es Gott" allen Spenderinnen und Spendern, die ein großes Herz für die Menschen in Russland haben. Bekanntlich kehrt die Freude, die man anderen schenkt, ja wieder ins eigene Herz zurück.
Pfarrer Dietmar Seiffert, Kuybischew (Westsibirien)