Minus 25 Grad – kein Dach über dem Kopf
Dünne Atemwolken auf dem Platz lassen erahnen, dass die kleinen, verschneiten Hügel, die an einen Friedhof mit frischen Grabhügeln erinnern, Menschen sind.
Wieder ist eine Nacht überstanden. Wer mehr Glück hatte, fand in dieser eisigen Nacht einen Schlafplatz in Nähe der Rohre der Fernwärmeleitungen, einem Kanalisationsschacht oder unter einem Balkon der Wohnhäuser.
Es ist noch zu früh, um sich in den Geschäften aufzuwärmen. Erst später, wenn es voller wird in den Einkaufszentren, gibt es vielleicht die Chance, hinter den Schultern vieler unerkannt ins Einkaufszentrum zu gelangen. Manchmal wird jemand von ihnen nicht mehr wach. Lungenentzündung, Erfrierungen, Tuberkulose. Letztere wird durch das schwache Immunsystem, die extreme Mangelernährung und das gemeinsame Nutzen von Geschirr und Besteck zum immer größeren Problem. Auch Verbrennungen sind nicht selten. Frierende Haut ist schmerzunempfindlich und die gleißende Hitze des Wasserdampfs der Heizungsrohre führt zu Verbrühungen.
Milde Winter gibt es in Sibirien nicht und auch der Sommer hat seine Tücken. Menschen ohne Obdach sind so Temperaturunterschieden von minus 40 bis plus 40 Grad ausgesetzt. Das Leben auf der Straße zeichnet diese Menschen aus. Kälte lässt die Haut rau und rissig werden und die Sonne, die sich am Tag im weißen Schnee spiegelt, führt oft zu Verbrennungen im Gesicht und auf den Händen. Das Alter der Menschen ist kaum noch zu erahnen, die Gesichter sind gezeichnet vom Leben unter Extrembedingungen.
Die Kleidung der Wohnungslosen ist verschlissen und abgenutzt und oft fehlt es an wärmender Kleidung.
Steigen die Temperaturen, lassen die Wohnungslosen wider alle Vernunft ihre Winterkleidung irgendwo liegen, in der Verzweiflung keinen Ort zu haben, an dem etwas sicher aufbewahrt werden kann.
Sommer wie Winter besuchen daher täglich wohnungslose und arme Menschen die Suppenküchen der Caritas, beispielsweise in Omsk oder Novosibirsk. Dort erhalten sie nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern auch Erste Hilfe, Hygieneartikel, Kleidung und Schuhe. Darüber hinaus bieten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Hilfe bei der Wiederbeschaffung oder Erstausstellung von Ausweispapieren an.
Verena Bauwens, Sibirienhilfe der Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus