Hauskrankenpflege
Wie war die Situation in Russland, als Sie 2005 das Projekt zur Hauskrankenpflege gestartet haben?
So etwas wie ambulante Pflege gab es nicht. Wer zu Hause Hilfe brauchte, dem stellte das Sozialamt eine Haushaltshilfe zur Verfügung, die eingekauft oder geputzt hat - und wenn sie nett war, vielleicht auch darüber hinaus ein wenig geholfen hat. Krankenschwestern waren mehr so etwas wie Arzthelferinnen. Sie hatten keine Vorerfahrung in der Pflege, das war ein ganz neues Feld! Wir haben also überlegt, wie wir mit den vorhandenen Ressourcen möglichst viele hilfsbedürftige Menschen erreichen können. Daraus ergab sich unser Ansatz, sowohl die Haushaltshilfen und Krankenschwestern in den Sozialämtern als auch die Angehörigen in den Grundlagen der Pflege zu schulen, um die Lebensqualität der Patienten und deren Angehörigen zu verbessern, um die sie sich kümmern.
Was waren anfangs die größten Schwierigkeiten?
Erstaunlicherweise war es weniger schwierig, die Behörden wie die Sozialämter von diesem Projekt zu überzeugen. Die waren sehr begeistert. Das Sozialamt in Omsk zum Beispiel hat Personen aus der ganzen Region herbringen lassen, die an den Schulungen teilnehmen sollten. Teilweise sind die Leute 600 Kilometer über Nacht mit dem Bus gefahren, um an einem Schulungstag dabei zu sein, und dann ging es in der nächsten Nacht wieder zurück. Schwieriger war es, vor Ort die nötigen Pflegehilfsmittel zu besorgen, weil die Sanitätshäuser viele Dinge gar nicht im Sortiment hatten. Da sind wir mit Katalogen aus Deutschland in die Läden gegangen und haben gezeigt, was benötigt wird - und die Geschäfte haben das dann nach und nach über Moskau besorgt. Das Ausleihen von Pflegehilfsmitteln ist bis heute eine bedeutende Hilfe für Pflegebedürftige, da sie meist viele Monate auf die verordneten Hilfsmittel warten müssen.
Gibt es einen besonderen Moment, in dem Sie gespürt haben, wie sinnvoll dieses Projekt ist?
Ich erinnere mich an eine Mitarbeiterin aus St. Petersburg, die von ihrer Patientin erzählte: 35 Jahre alt, ein Schlaganfall vor zehn Jahren, seitdem ans Bett gefesselt und mit den Spätfolgen, die diese Erkrankung mit sich bringen kann. Als unsere Mitarbeiterin bei der Frau die Mobilisierungsübungen durchführte, stand die Familie weinend daneben und hat gesagt: Wo waren Sie vor zehn Jahren? Wir hätten Sie vor zehn Jahren schon so dringend gebraucht.
Und es gab auch Rückmeldungen von staatlichen Stellen, die uns sehr deutlich gemacht haben, wie gut unsere Arbeit wirkt: etwa eine Erhebung, dass Schlaganfall-Patienten, die anschließend von der Caritas betreut wurden, weniger mit Langzeitfolgen zu kämpfen haben und schneller mobiler sind als Patienten, die keine entsprechende Behandlung bekamen.
Das war sehr ermutigend für unsere Arbeit. Eine Bestätigung für mich war zudem die Begeisterung, mit der unsere Krankenschwestern ihren Dienst verrichten, und die Dankbarkeit der Pflegerinnen der Sozialämter, deren Arbeit sich durch die Schulungen spürbar verbessert hat. Besonders bei der Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall wächst auch in Kliniken das Verständnis für die Bedeutung der mobilisierenden Pflege.
(Interview: Franziska Kückmann)