Ein unkonventioneller Streiter für soziales Engagement
Sonnenschein studiert in dieser Atmosphäre Theologie, erst in Berlin, dann von 1894-1901 in Rom. In Rom lernt er zwei katholische Persönlichkeiten kennen, die die christlich-soziale Bewegung in Italien erheblich geprägt haben: Guiseppe Toniolo und Romolo Murri. Sonnenschein lernt durch sie die soziale Lage der Arbeiter kennen und den Umgang mit dem Proletariat.
Gleichberechtigung
1901 kehrt er nach Deutschland zurück. An drei Stationen wird er als Kaplan eingesetzt; jedes Mal endet es mit einem Fiasko. Sonnenschein fällt es sehr schwer, sich in den Dienst und die hierarchische Ordnung der Kirche einzufügen. Sieht er eine Aufgabe vor sich, packt er sie an - unabhängig von Zuständigkeiten, Konventionen oder Rücksichten. Sonnenschein verdammt die feudalbürgerlichen Vorstellungen und macht daraus auch öffentlich keinen Hehl. Herrendasein und soziale Ignoranz bezeichnet er als "gesellschaftliches Heidentum". Seine Vision ist die gesellschaftliche Gleichberechtigung aller Volksschichten. 1908 gründet Sonnenschein das "Sekretariat sozialer Studentenarbeit". Es bietet einerseits Hilfe und Selbstverwaltung. Andererseits hat es die soziale Arbeit durch Studenten zum Ziel. Die Studenten fühlen sich Anfang des 20. Jahrhunderts als privilegierter Stand und sind von ihrer Exklusivität durchdrungen. Sonnenschein bringt Studenten und Arbeiter zusammen. So organisiert er Kurse, in denen Studenten Arbeiter unterrichten. Das Sekretariat sozialer Studentenarbeit war der entscheidende Ansatz für soziale Bildungsarbeit im akademischen Raum. Sonnenschein wendet sich auch an die christlichen Gewerkschaften und mischt sich mit Nachdruck in den Gewerkschaftsstreit ein. Der erste Weltkrieg bringt eine tiefe Zäsur.
Das Kaiserreich bricht zusammen, die Weimarer Republik ist geboren. Sonnenschein ist davon überzeugt, dass sich durch die veränderte Situation völlig neue Perspektiven eröffnen. Ihm schwebt eine katholische politische Bewegung zur sozialen Erneuerung vor. Um 1920 leben in Berlin ca. 400.000 Katholiken - ohne allerdings so etwas wie eine gemeinsame Identität zu haben.
Soziale Erneuerung
In den zwanziger Jahren ist Berlin der politische, geistige und wirtschaftliche Mittelpunkt Deutschlands - und Sonnenschein will, dass von einem starken und selbstbewussten Berliner Katholizismus starke Impulse ins ganze Reich gehen. Mit einem sicheren Gespür für wirksame Mittel und ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten übernimmt er 1924 die Redaktion des katholischen Kirchenblatts. Wenn es um die Organisation von Hilfe geht, ist Sonnenschein unwiderstehlich: Auf Abendgesellschaften bittet er nicht, er ordnet finanzielle Unterstützung an.
Hilfe für Notleidende
Manche wohlhabende Berliner erkundigen sich bei Einladungen vorab, ob auch Sonnenschein kommen werde. Doch Sonnenschein kommt auch dann, wenn er nicht eingeladen ist. Es geht ihm aber nicht nur um materielle Hilfe, sondern immer auch um Bildung und um die Förderung einer gemeinsamen Identität. Er gründet in Berlin die katholische Volkshochschule, den katholischen Wassersportverein, den Kreis katholischer Künstler und viele andere Initiativen. Sonnenschein ist zeit seines Lebens rastlos - ohne Rücksicht auf seine Gesundheit oder seine wirtschaftliche Lage. Im Alter von 52 Jahren stirbt er an den Folgen einer Nierenerkrankung. Sein Porträt (s. Foto rechts) hängt im Eingangsbereich der Osnabrücker Geschäftsstelle. Der Maler des Ölgemäldes ist nicht bekannt.
Textgrundlage: Theodor Eschenburg, Carl Sonnenschein, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 4/1963, S. 333-361.