Bier zum Fußballgucken, Feiern mit Freunden, Wein zum Filmabend - Alkohol gehört auch für viele Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen zum Leben. Aber was, wenn immer mehr getrunken und dies zum Problem wird? Bislang gab es für diese Zielgruppe so gut wie keine speziellen Suchthilfe- und Präventionsangebote. Die Fachambulanz Suchtprävention und Rehabilitation der Caritas im Emsland und die Behindertenhilfeeinrichtung St. Lukas-Heim in Papenburg wollen das ändern - und zwar mit zugeschnittenen Programmen, die nun dank gelockerter Corona-Einschränkungen wieder anlaufen.
Risiko steigt
"Dadurch, dass Menschen mit Behinderungen zunehmend selbstständiger leben, haben sie auch leichteren Zugang zu Suchtmitteln", sagt Marion Feldmann, Leiterin der Fachambulanz. "Wenn die eigenen Grenzen nicht realistisch eingeschätzt werden können und die Selbstreflexion eingeschränkt ist, kann das Risiko für einen problematischen Konsum steigen." Dazu haben beide Einrichtungen gemeinsam in den vergangenen 18 Monaten das Projekt "Geistige Behinderung - problematischer Konsum - (k)ein Thema?!" durchgeführt, um u.a. herauszufinden, inwiefern dies für Klienten der Behindertenhilfe im nördlichen Emsland eine Rolle spielt. Mehr als 20 Prozent der Mitarbeitenden gaben dabei in einer Befragung an, dass die Betreuten ihrer Meinung nach einen problematischen Konsum aufweisen.
Durch die Corona-Krise bekam die Thematik eine besondere Brisanz. "Als die Werkstätten schließen mussten und für unsere Klienten plötzlich die gewohnte Tagesstruktur wegbrach, haben wir uns schon Sorgen gemacht, dass einige nun in eine Dauerpartyschleife abrutschen", sagt Karsten Schomaker, Leiter des Bereichs Wohnassistenz im St. Lukas-Heim. Er und seine Kolleg*innen begleiten Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, die so eigenständig wie möglich leben und nur in bestimmten Lebensbereichen Unterstützung brauchen. "Wir haben uns also mit unseren Klienten hingesetzt und eine neue Tagesstruktur aufgebaut: Aufstehen, frühstücken, einkaufen, kochen, spazieren gehen, alles wurde genau geplant. Das hat den Menschen in dieser ungewöhnlichen Zeit Sicherheit und eine neue Routine gegeben."
Neue Wege
Im Rahmen des gemeinsamen Projektes haben Fachambulanz und St. Lukas-Heim außerdem bereits neue Angebote entwickelt, um Menschen mit geistiger Beeinträchtigung für den Suchtmittelkonsum zu sensibilisieren. Dazu gehören Schulungen für Mitarbeitende in der Behinderten- und Suchthilfe, Präventionsmaterialien in leichter Sprache und ein Arbeitskreis Gesundheit, in dem die Zielgruppe selbst vertreten ist. "In einer angeleiteten Selbsthilfegruppe tauschen die Teilnehmenden darüber hinaus zum Beispiel Tipps aus, wie etwa das gemeinsame Fußballgucken im TV ohne Alkohol aussehen kann", erläutert Manfred Velt, Projektbeauftragter der Fachambulanz.
Auch als sich während des Corona-Lockdowns keine Gruppen treffen durften, fand eine Begleitung statt. "Wir haben Kontakt zu Klienten gehalten, von denen wir wussten, dass sie zu einem problematischen Konsum neigen", erklärt Karsten Schomaker. Inzwischen treffen sich die Gruppen wieder in verkleinerter Zusammensetzung. Die beiden Einrichtungen planen, langfristig auch andere Bereiche der Behindertenhilfe in die Präventionsarbeit einzubeziehen. Ziel ist ein ganzheitliches und vernetztes Angebot.
Der Abschlussbericht zum Projekt "Geistige Behinderung - problematischer Konsum - (k)ein Thema?!" steht hier zum Download bereit oder kann in der Fachambulanz angefordert werden.