Nicht nur die Beratungszahlen, sondern auch die Anzahl der Kontakte sind im Coronajahr laut der Beratungs- und Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt (BISS) in Trägerschaft der Sozialdienste katholischer Frauen und der Beratungsstelle des Caritasverbandes im Emsland nach oben geschnellt. Ausgangssperren, Homeoffice, Homeschooling, Einkommensverluste und dann oftmals beengte Wohnverhältnisse haben die Situation in vielen Familien eskalieren lassen. Die drei Beratungsstellen halfen im Jahr 2020 viel mehr Frauen und Männern als in den Vorjahren, die von seelischer und körperlicher Gewalt in häuslicher Umgebung betroffen waren.
Laut einer Statistik der BISS mit ihren Beratungsstellen in Lingen und Meppen sind die Personenzahlen um 23 Prozent gestiegen. Heike Gertken von der BISS in Meppen erlebt, dass sich die Gewalt seit Beginn der Pandemie in verschiedenster Weise zeigt. Die Zahl der Betroffenen ist in diesem Jahr um 183 auf 1020 hilfesuchende Personen gestiegen. Hierbei wurden 847 Frauen und 173 Männer beraten, die entweder von der Polizei gemeldet wurden oder sich direkt an die BISS gewendet haben. Monika Olthaus-Göbel, die Kollegin von der BISS in Lingen, erklärt: "Nicht nur in Partnerschaften werden Männer gegen Frauen aggressiv. Auch Männer greifen in Wohngemeinschaften andere Männer an, oder es gibt Übergriffe erwachsener Kinder gegen die Eltern oder andere Familienmitglieder - manchmal arten schon Kleinigkeiten in Handgreiflichkeiten aus!"
Die Beratungsstelle des Caritasverbandes für das Emsland für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, kann diesen Trend bestätigen. Allerdings sind hier die Zahlen der Betroffenen, die sich gemeldet haben, nur um 6 Prozent auf 184 gestiegen, doch sind die Beratungskontakte insgesamt von 676 im Vorjahr um rund 30 Prozent auf 924 im Jahr 2020 hochgeschnellt. "Es zeigt sich deutlich, dass insbesondere Frauen durch coronabedingte Zusatzaufgaben sehr stark belastet sind, wenn sie sich bei uns melden", wissen Birgitt Ridder-Stockamp und Gabriele Middendorf, Sozialarbeiterinnen von der Caritas in Papenburg, zu berichten, "Durch die Coronafolgen sind die Probleme der Frauen komplexer und vielschichtiger geworden und ihre Begleitung benötigt mehr Zeit." Zur Beratung gehören Abschätzung und Maßnahmen zur persönlichen Sicherheit, Hilfe bei Anträgen, Abklärung der finanziellen Situation sowie Erarbeiten neuer Perspektiven für ein Leben ohne Gewalt. "Was wir bisher gesehen haben, ist womöglich nur die Spitze vom Eisberg!" Die Beraterinnen befürchten, dass die Folgen der Pandemie noch lange zu spüren sein werden. So bald wie möglich werden neben den zurzeit üblichen Einzelgesprächen auch wieder Gruppengespräche angeboten.
Alle drei Beratungsstellen arbeiten vertraulich, kostenfrei und auf Wunsch anonym. Betroffene von häuslicher Gewalt sollen ausdrücklich ermutigt werden, die Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen. Der Appell der Beraterinnen geht auch an Nachbarn und Angehörige: "Schauen Sie nicht weg! Wenn Sie das Gefühl haben, jemand ist in Not, sprechen Sie ihn an und verweisen Sie auf uns! Wir sind auch in Zeiten von Corona für Sie da!"