Franz Braun (lks) und Jochen Maas in der Kapelle des Hauses St. Marien.Caritas / Sebastian Hamel
Es ist rund 40 Zentimeter groß, aus massivem Holz der Hochgebirgseiche gefertigt und mit einem filigran geschnitzten Corpus versehen: das neue Kruzifix in der Kapelle des Hauses St. Marien in Nordhorn. "Neu" ist in diesem Fall allerdings relativ zu verstehen - reicht die Geschichte des Kreuzes doch mehr als 150 Jahre in die Vergangenheit. Bis zuletzt befand sich die bedeutungsvolle Devotionalie im Familienbesitz des Nordhorners Franz Braun. Auf der Suche nach einem passenden, nachhaltigen Ort für das Kreuz kontaktierte dieser die katholische Pflegeeinrichtung, die vor knapp drei Jahren in Trägerschaft der Caritas St. Marien Pflege GmbH in den Räumen des früheren Marienkrankenhauses eröffnet wurde: ganz zur Freude von Heimleiter Jochen Maas, der die Spende nun dankend entgegennahm.
Die Wahl des Ortes kommt nicht von ungefähr: Bei vielen Nordhornern genießt die 1927 gegründete Klinik auch mehr als zehn Jahre nach ihrer Schließung noch eine hohen Stellenwert, die Erinnerungen an das Haus sind bis heute präsent. Auch Franz Braun, der seinerseits das Licht der Welt im Marienkrankenhaus erblickte, denkt gerne an alte Zeiten zurück. Viele Stunden seiner Kindheit verbrachte der inzwischen 70-Jährige auf dem Klinikgelände, das in den 1950er-Jahren noch von Wald, Ackerflächen und einem Ententeich geprägt war: Diente das Areal in der Nachkriegszeit in erster Linie dem Anbau von Gemüse zur Selbstversorgung, lockte es gleichwohl die Kinder zum Spielen, Klettern und Entdecken an.
Mit großer Bewunderung spricht Franz Braun von den Thuiner Schwestern, die vom Ackerbau über Küchendienst und Reinigungsarbeiten bis hin zu menschlichen Zuwendungen den Klinikbetrieb maßgeblich stemmten. In einer Zeit, da die aus dem Sudetenland in die Grafschaft gekommene Familie Braun nur über wenige Mittel verfügte, waren es auch die Nonnen, die für eine tägliche Mahlzeit sorgten: "Jeden Mittag ging ich zum Marienkrankenhaus mit sechs leeren Büchsen, die Schwester Dulcia dann mit Essen füllte", erinnert sich der Nordhorner, der damals nur einige Meter von der Klinik entfernt im Stadtteil Blumensiedlung lebte. Selbst als er einmal auf dem Heimweg mit seinem Fahrrad stürzte und das Essen verschüttet wurde, musste die Familie nicht leer ausgehen: Großzügig stiftete Schwester Dulcia an diesem Tag noch eine zweite Portion.
Auch manches Butterbrot erhielt der bei den Nonnen beliebte, blonde Junge in jenen Jahren - bekam von den Ordensfrauen aber auch klare Grenzen aufgezeigt: "Die Schwestern achteten schon damals sehr auf die Hygiene. In der Küche durfte ich mich nicht aufhalten, damit die Kranken nicht noch kränker werden, wie man es mir als Kind erklärte", berichtet Franz Braun. Er selbst sei auf dem Krankenhausgelände nur knapp einem schweren Unglück entkommen: Eines Tages erklomm er zwei schwere Eisentore, die demontiert an einer Wand lehnten. Dabei kippten die Teile plötzlich und fielen krachend auf die Seite. Um Haaresbreite hätten sie das Kind erschlagen, doch Franz Braun stand wie durch ein Wunder inmitten einer herzförmigen Aussparung. Nach dem lauten Rumms war die Aufregung freilich groß - und Nonnen, Familie und Franz Braun selbst zeigten sich heilfroh, dass der Torfall keine schlimmeren Folgen hatte.
Nach all diesen Erlebnissen verwundert es nicht, dass das ehemalige Marienkrankenhaus als künftiger Verweilort für das Kreuz auserkoren wurde. "Ich kann mir keinen würdigeren Platz vorstellen", sagt Franz Braun. "Das Krankenhaus hat meinen Eltern und mir in vielerlei Hinsicht geholfen. Deshalb gebe ich jetzt etwas zurück." Er freut sich zudem, dass mit der Pflegeeinrichtung eine gelungene Nachfolgenutzung für das angesehene Haus gefunden wurde.
Geschaffen von Holzschnitzern aus dem Riesengebirge, begleitete das gesegnete Kreuz die Familie Braun auch auf der Flucht nach Westdeutschland. Franz Braun ist sich sicher: Da das Kruzifix oben auf dem Wäschekorb lag, blieb das wenige Hab und Gut von Plünderungen während der zahlreichen Kontrollen verschont. In Nordhorn hing das Kreuz stets in der Küche der gläubigen Familie und war somit immer präsent. "Es im Internet zu verkaufen, wäre für mich niemals in Frage gekommen", unterstreicht Franz Braun. Heimleiter Jochen Maas ist sich der Bedeutung der Spende bewusst und sagt wertschätzend: "Es ist ein Stück Geschichte, das man in den Händen hält." Fortan können sich nun die Gottesdienstbesucher in der Kapelle an dem außergewöhnlichen Geschenk erfreuen.