Alkohol nicht grundsätzlich verteufeln, aber deutlich auf die Gefahren eines übermäßigen Konsums hinweisen: Das ist eines der Kernanliegen der Ökumenischen Fachambulanz Sucht (ÖFaS) im Landkreis Grafschaft Bentheim, die im COMPASS Diakonie-Caritas-Haus an der NINO-Allee 4 in Nordhorn angesiedelt ist. Die Prävention macht neben Beratung und Therapie einen der drei Schwerpunkte der Arbeit aus: Insgesamt 1140 Jugendliche und Erwachsene konnten im Jahr 2022 mit vorbeugenden Angeboten erreicht werden. Und die Tendenz steigt: Schon jetzt (Stand: Juli 2023) wurde die Vorjahreszahl übertroffen. Das haben jüngst ÖFaS-Geschäftsführer Hermann Josef Quaing, die therapeutisch-pädagogische Leiterin Sandra Mennemann sowie die Sozialpädagogin und angehende Suchttherapeutin Janna Oskamp bei der Vorstellung des ÖFaS-Jahresberichts 2022 mitgeteilt.
Ein wesentliches Element der Präventionsarbeit ist das Projekt "Rauschfreie Schule", dessen zehnjähriges Bestehen die ÖFaS im Jahr 2022 feiern konnte. "Inzwischen sind wir an sämtlichen weiterführenden Schulen im Landkreis vertreten", freut sich Sandra Mennemann. Beim Projekt "Rauschfreie Schule" besuchen die Suchtexpert*innen der ÖFaS achte und neunte Klassen, um mit ihnen mittels altersgerechter Methoden zum Thema Alkoholkonsum ins Gespräch zu kommen - mit dem Ziel, dem Trend des exzessiven Trinkens entgegenzuwirken. Und um zu klären, was unter dem Begriff "Komasaufen" eigentlich zu verstehen ist: "Vom ,Komasaufen' spricht man, wenn innerhalb kurzer Zeit mehrere alkoholische Getränke eingenommen werden - bei Männern fünf Getränke in 30 Minuten, bei Frauen vier", erläutert Mennemann.
Deutschlandweit trinken Jugendliche zum ersten Mal mit 15,0 Jahren Alkohol und erleben mit 16,3 Jahren ihren ersten Vollrausch. "In der Grafschaft liegen wir locker anderthalb Jahre darunter - und in den benachbarten ländlichen Regionen dürfte es kaum anders aussehen", warnt die Fachfrau. Sie und ihre Kollegin Janna Oskamp wissen aber auch von positiven Eindrücken aus dem Kontakt mit den Schüler*innen zu berichten: "Wir erleben, dass Jugendliche heute deutlicher als noch vor einigen Jahren unter Gleichaltrigen dazu stehen, wenn sich nichts trinken wollen. Sie beugen sich in puncto Alkohol also seltener dem Gruppendruck", stellt Oskamp fest. Vielen sei es sogar wichtig zu betonen, dass sie gar nichts trinken beziehungsweise den Erstkonsum bewusst noch aufschieben wollen.
Kommt es zu einem problematischen Trinkverhalten bei Jugendlichen, steckten häufig Erwachsene dahinter, unterstreichen die ÖFaS-Mitarbeitenden - sei es durch schlechte Vorbildfunktionen oder durch das aktive Zuführen alkoholischer Getränke. Vielen Eltern sei die Tragweite des Themas zudem offensichtlich nicht bewusst: So erschienen bei den Elternabenden im Zuge des Projekts "Rauschfreie Schule" oft nur ein Bruchteil der Erziehungsberechtigten. Hermann Josef Quaing gibt allerdings zu bedenken, dass auch Eltern unter einem gewissen Gruppenzwang stehen: "Wenn eine Gruppe Jugendlicher zum Kloatscheeten aufbrechen will und ein Vater legt ihnen einen Flasche Schnaps in den Bollerwagen, braucht es als Elternteil ein echtes Standing, diesem Mann zu sagen: Die Flasche kommt da wieder raus!"
Laut Gesetz darf "harter" Alkohol grundsätzlich erst ab 18 Jahren getrunken werden - Bier und Wein ab 16 Jahren, unter Aufsicht der eigenen Erziehungsberechtigten schon ab 14 Jahren. In den vergangenen Jahren hatten es die Therapeut*innen der ÖFaS jedoch auch immer wieder mit Fällen zu tun, da sich Kinder unter 14 Jahren bis zur Bewusstlosigkeit betrunken haben. Dann greift das Projekt "HaLT - Hart am LimiT": In der Regel informiert die Euregio-Klinik nach Einlieferung eines Minderjährigen mit Vollrausch die ÖFaS - sofern die Eltern eine Schweigepflichtsentbindung unterschrieben haben. Mittlerweile können sich Erziehungsberechtigte und Jugendliche auch direkt an die Beratungsstelle wenden.
Viele Betroffene zeigten sich empfänglich für Beratungsangebote, sagt Janna Oskamp: "Für Jugendliche ist es nun einmal auch ein einschneidendes Erlebnis, wenn sie im Krankenhaus aufwachen und einen völligen Kontrollverlust erfahren haben." In den Gesprächen wird dann unter anderem erörtert, wie es zu dem Vollrausch kam - und ob die betreffende Person möglicherweise zu etwas überredet wurde, was sie eigentlich nicht wollte. Seit 2010 ist die ÖFaS anerkannter HaLT-Standort des bundesweiten "HaLT"-Projekts, seit 2020 können die Angebote auch bezüglich Cannabiskonsum aufgesucht werden.
Immerhin: Rauchen scheint heute weitestgehend "out" zu sein, blickt man auf die Rückmeldungen der Jugendlichen in den Präventionsprojekten - zumindest was gewöhnliche Zigaretten anbelangt. Auf dem Vormarsch seien hingegen sogenannte "Vapes", also Einweg-E-Zigaretten, die in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich sind, sowohl mit als auch ohne Nikotin. Offiziell sind diese auch erst ab 18 Jahren erhältlich: "Die Jugendlichen wissen aber ganz genau, in welchen Läden das Alter nicht genau kontrolliert wird", gibt Sandra Mennemann zu bedenken.
Der vollständige Jahresbericht 2022 der ÖFaS, in welchem neben der Prävention auch über die Aspekte Beratung und Therapie informiert wird, kann im Internet unter www.oefas.de heruntergeladen werden. Dort finden sich auch sämtliche Flyer der Beratungsstelle zum Download.