Wie alles begann
Doris Epple erzählt in dieser gekürzten Mitschrift, wie es zur Gründung der Doris-Epple-Stiftung kam:
Vor über 25 Jahren hatte ich den Wunsch, einmal ein Land zu besuchen, in dem die Menschen durch Überschwemmungen oder Erdbeben in Not geraten waren. Ich wollte mit meinem privaten Geld dort direkt helfen. Die Reise durfte höchstens eine Woche dauern, da zu Hause Hühner und Schafe zu versorgen waren. Ich hatte einen guten Kontakt nach Bolivien, doch 3.000 Höhenmeter waren zu hoch für mein Herz. Weiter kamen Russland, Rumänien und Bulgarien in Frage.
Eine Nichte von mir hatte einen deutsch-russischen Austausch in St. Petersburg gemacht. Über die Caritas bekam ich eine Adresse von einem Pfarrer in St. Petersburg. Ein weiterer Kontakt entstand durch einen Fernsehbeitrag, in dem Deutschlands größte Suppenküche der Franziskanerinnen in Berlin vorgestellt wurde. In einem Telefongespräch erfuhr ich, dass eine Schwester für drei Wochen in eine Suppenküche nach St. Petersburg gegangen war. Ihren Namen hatte ich mir gemerkt und bin nach ihrer Rückkehr mit ihr in Kontakt getreten. Sie erzählte: "Wir hier in Berlin kochen eine sehr einfache Suppe, doch sie ist Gold gegenüber der in St. Petersburg." Ich habe mir gedacht, so ein Quatsch, eine einfache Suppe ist eine einfache Suppe. Was soll das? Die Entscheidung fiel dann für Russland: Ich habe in Konstanz in einem Reisebüro angerufen, dort hofften sie, eine kleine Gruppe zusammenzubekommen. Das gelang auch, die Teilnehmer reisten aus verschiedenen Orten an - in St. Petersburg in einem 300-Betten-Hotel hat man sich dann formiert. Ich hatte mir über den deutsch-russischen Austausch einen Studenten als Dolmetscher bestellt. Am nächsten Tag um 9 Uhr stand vor mir ein 60-jähriger arbeitsloser Ingenieur. Nikolai war sehr sympathisch, er sprach einwandfrei deutsch, das Vertrauen war schnell hergestellt.
Zu den finanziellen Mitteln, die ich mitnahm, ein paar Hintergrundinformationen: Als junge Frau hatte ich Heiligenbilder von einem Radolfzeller Maler erstanden, die ich jetzt gut verkaufen konnte an jemanden, der über diesen Maler gerade ein Buch schreiben wollte. So hatte ich eine stattliche Summe privaten Geldes in Höhe von 6.000 DM zusammen. […]
Dann hatte ich eine Idee, ich hatte in Radolfzell Heiligenbildchen gekauft, die ich mitgenommen hatte. So klebte ich auf die Rückseite einen Geldschein und verteilte diese in der Kirche nach der Messe an arme betende Menschen, die noch eine Weile dort verweilten. Das war dann sofortige Gebetserhörung! Denn wenn ich den bettelten Menschen vor der Kirche Geld gegeben hätte, war es sicher, dass dieses von der Mafia abkassiert wurde.
Wir sind dann auch in die dortige Suppenküche gegangen. Ich fand zwei normale Herde und darauf zwei große Kessel. Beide waren voll mit Wasser, in den einen kamen drei bis vier Löffel Schwarztee hinein - in den anderen kamen drei Suppenwürfel. Dann habe ich begriffen, was die Schwester mit "Gold gegenüber St. Petersburg" gemeint hatte. Die Küchenfrau war eine studierte Frau kurz vor dem Rentenalter ohne Beschäftigung, sie machte den Job für 30 DM im Monat. Dann hat sie mich in den Hinterraum geführt, da öffnete sie den Schrank. ich durfte alles sehen, da waren noch zwei Pakete Tee und so eine kleine Packung mit Brühwürfeln.
Da brauchte niemand einzubrechen, es war einfach nichts da. Zur Suppe gab es ein Brot, es waren Schragen, es gab auch keine Sitzgelegenheiten. Die Menschen kamen mit Blechdosen, da hinein haben sie dann den heißen Tee und die Brühe bekommen. Es war kalt - und die Menschen waren in einem Zustand - furchtbar! Wir haben uns dann dazugestellt und Nikolai hat meine Fragen gestellt. Die Menschen waren auch recht auskunftswillig. So habe ich schon einmal erste Informationen gesammelt.
Von Pfarrer Kania hatte ich zwar die Adresse und wir haben auch telefoniert, doch der persönliche Kontakt zu ihm über die Caritas kam erst am letzten Tag vor meiner Abreise zustande. Ich habe ihn getroffen und mich vorgestellt - es war ein kurzes, herzliches Gespräch. Von meinem mitgebrachten Geld war noch ein großer Teil vorhanden, davon habe ich ihm die Hälfte gegeben, die andere der Suppenküche. Ich bin dann mit meiner Gruppe mit dem Flugzeug zurück in die Heimat. Meine Erlebnisse und Eindrücke habe ich meinem Mann Bruno erzählt. Damit war für mich die Reise gut abgeschlossen, ich bin wohlbehalten zurückgekommen und hatte meine Mittel gut einsetzen können. Ich war damit recht zufrieden. Doch nach drei Tagen kamen mir Gedanken wie: Das kannst du doch nicht machen, einmal dorthin fahren, Kontakte aufbauen, etwas Geld dalassen und dich nie wieder sehen lassen. Also habe ich einen Bericht geschrieben und mich an einen Bekannten gewandt, der beim Südkurier arbeitete. Ich war im November in St. Petersburg und im Dezember hatte ich über den Bericht im Südkurier bereits 3.000 Euro an Spenden bekommen.
Von da an lief es. Ich habe diese Suppenküche zwei Jahre unterstützt. Es war jedoch schwierig. […] Nach zwei Jahren brach diese Küche zusammen, die Geldzahlungen habe ich dann eingestellt. Dann schaltete sich Pfarrer Kania ein und er schilderte, dass er über den Franziskaner Orden in einem Haus eine Kapelle mit Wohnung einrichten wird. Darüber gibt es auch Wohnungen für Studenten und der ganze untere Bereich als großer Raum war noch frei. Dort war ehemals eine Fabrik untergebracht. Den Bereich könnten wir eventuell bekommen, um dort eine Obdachlosenküche einzurichten.
Dann kam der erste Strich durch die Rechnung: Obdachlose und Küchenpersonal durften sich nicht kreuzen, also musste für die Küche ein extra Raum eingerichtet werden. Und am Eingang musste immer jemand sitzen, der jeden Einzelnen registrierte. Es ist nie kontrolliert worden, doch es war Vorschrift. […]
Dann kamen eines Tages Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde und stellten fest, dass tuberkulosekranke Russen nicht mit gesunden Menschen zusammen essen dürfen. Entweder wir schickten die Tuberkulosekranken weg oder es musste eine zweite Suppenküche her. So entstand die zweite Suppenküche. Nach einer Weile kamen die Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde erneut und merkten an, dass auch Straßenkinder mit den Obdachlosen zusammen am Tisch saßen. Das war ebenfalls nicht erlaubt. Auf der Straße war alles möglich, nur nicht in unserer Küche. So haben wir im Fabrikgebäude im hinteren Teil einen weiteren Raum eingerichtet und dort konnten die Kinder dann essen. Das war dann der nächste Schritt. Die Mitarbeiter und die Lebensmittel konnte ich von den regelmäßigen Spenden bezahlen….
Mitschrift vom 6. Februar 2020